Indien ist inzwischen Annas zweite Heimat. Dort verbringt sie mehrere Monate jedes Jahr, hauptsächlich in Mysore. In der Geburtsstadt des Ashtanga-Vinyasa-Yoga lernt sie mehr über Yoga und assistiert seit Kurzem ihrem Lehrer Vijay Kumar. Die studierte Innenarchitektin arbeitet zudem freiberuflich im Art Department für verschiedene Filmproduktionen in Köln. Mit Yoga als Kunst, Philosophie und Wissenschaft beschäftigt sich die 39-Jährige schon lange. Die ehemalige Stuttgarterin praktiziert Ashtanga seit 2011. Bei Shine! Yoga unterrichtet sie seit knapp vier Jahren. Anna hat verschiedene Yoga-Arten ausprobiert, dennoch kehrt sie immer wieder zum Ashtanga zurück. „Das ist die Hauptstraße auf meinem Yogaweg“, wie sie selbst sagt.

Wann und wie beginnt deine Yoga-Reise?

Auf meiner dritten Reise nach Indien erlebte ich im Himalaya meine erste Yogastunde. In Uttanasana (Vorbeuge mit gestreckten Beinen) reichten meine Hände etwa nur bis zu den Knien. Mein Lehrer Mahi sagte mit seinem lustigen Akzent: „Come back daily and very soon your hands touch the floor“.

Ich glaubte ihm nicht, kam aber täglich. Wenige Tage später bekam ich meine Hände flach auf den Boden. Zudem war da eine Energie und Kraft, die ich aus der Praxis schöpfte, die mich in den Bann zog. In einem Ashram in Rishikesh, Indiens Yoga-Mekka, lernte ich dann Ashtanga kennen.

Als ich nach Deutschland zurückkam, konnte ich keinen für mich passenden Yogalehrer finden, der annähernd die Yoga-Energie aus Indien transportierte. Damals wohnte ich bei Stuttgart. Also beschäftigte ich mich erst mal allein mit Yoga. Ende 2009 brachte mich eine Weiterbildung an der Internationalen Filmschule Köln ins Rheinland. Hier fand ich auch 2011 endlich meinen „Yoga-Hafen“ bei meiner Lehrerin in Köln-Ehrenfeld.
2019 schloss ich dort meine erste zweieinhalbjährige Ausbildung in Ashtanga-Vinyasa-Yoga ab. Parallel dazu sowie zu meinen Filmprojekten, begann ich 2017 zu unterrichten.

Warum Ashtanga-Yoga?

Zwischendurch habe ich zum Beispiel Sivananda, Bikram und Iyengar-Yoga ausprobiert. Alles tolle Yogasysteme. Aber ich lande immer wieder beim Ashtanga-Yoga. Denn: Dieser Stil ist Meditation in Bewegung. Indem ich immer wieder das Gleiche übe, zeigt mir Ashtanga wie ein Barometer an, wie es mir im Moment geht: körperlich wie geistig. Bin ich gerade entspannt und geduldig oder doch das Gegenteil? Oder perfektionistisch? Ashtanga spiegelt einfach wunderbar das Ego, die Emotionen und tief eingebrannte Muster wider.

Ashtanga-Vinyasa-Yoga trainiert gleichzeitig Balance, Kraft und Bewegung. Und somit auch alles, was wir im Leben brauchen.

Das Leben ist komplex genug. Doch Yoga bedeutet Einfachheit. Es ist ein Werkzeug, um klarer zu sehen, um zu mir selbst zu kommen.

Was möchtest du den Menschen mitgeben, die bei Shine! Yoga zu deinem Kurs kommen?

Ich denke, ich unterrichte eher langsamer. In der westlichen Welt sind wir ohnehin zu sehr fokussiert auf Schnellsein, Leistung und Optimierung.

Wer ist heute im Unterricht und was brauchen die Teilnehmenden? Das interessiert mich, wenn ich vor der Gruppe stehe. Wer heute ein wenig träge ist, versuche ich etwas anzuspornen. Und wer mit den Gedanken in der Zukunft ist, bremse ich etwas aus. Oft arbeite ich mit meinen Schüler:innen daran, eine bestimmte Asana zu verfeinern. Sei es Sirsasana (Kopfstand) oder das Durchspringen zum Beispiel. Die Sanskrit-Namen der Yogapositionen fehlen bei mir nicht, denn auch die Sprache transportiert das mit, wofür Yoga steht.

Vielleicht ist das aber die wichtigste Botschaft an meine Schüler:innen: Mach Yoga immer so, als ob du es gerade zum ersten Mal tust. Spüre, wo du heute stehst und was du gerade brauchst. Hierfür eignet sich am besten der Mysore-Unterricht, wie es in Indien fünfmal die Woche praktiziert wird.

Egal, ob groß oder klein, älter oder jünger – jeder Mensch kann Asanas wie etwa den Kopfstand lernen. Nur jeder Körper ist anders und die Vielfalt ist schön. Also: Keinesfalls mit anderen vergleichen. Mit der richtigen Einstellung gelingt das meistens – früher oder später. Es ist dabei wichtig, den Geist zu beruhigen. „Calm mind“, sagt mein Lehrer in Indien, wenn er merkt, dass ich zum Beispiel ungeduldig oder mit den Gedanken woanders bin.

Hier im Westen wird Ashtanga-Yoga oft missverstanden: als intensiv und hart. Aber das ist nur das, was unsere leistungsorientierte Gesellschaft daraus macht. In ihr geht es stetig ums Vergleichen.
Es gibt zwar die Möglichkeit, sich in den fortgeschritteneren Serien ganz schön zu verknoten. Und gleichzeitig geht es dabei um eine spirituelle Praxis und ums Loslassen. An gewissen Stellen ist natürlich Stabilität gefragt, um dann an anderen loslassen zu können. Wie im Leben eben auch.

Mit einem ruhigen Geist (calm mind) und etwas Geduld klappt jede Asana.

Du verbringst jedes Jahr mehrere Monate in Indien. Was zieht dich dorthin?

Indien ist inzwischen meine zweite Heimat. Es lebt sich dort besser im JETZT. Sobald ich auf indischem Boden stehe, bin ich glücklich und gerührt, mein Herz geht auf. Die Menschen dort sind offen, warmherzig und neugierig. Sogar das Sonnenlicht wirkt anders.

In Indien komme ich durch Yoga an meine Gefühlswelt besser dran, weil die Energie im Land – aber auch Yoga selbst – anders sind: fordernd, aber weicher und ganzheitlicher. Philosophie und Pranayama gehören dort zu meinem Alltag. Und es gibt auf dem Gebiet noch so viel zu lernen und zu erkunden. Yoga ist natürlich authentischer in Indien. Reduziert auf das Wichtige: Yoga pur, ohne viel Tamtam und Mattenspray.
Auch zurück in Köln fühle ich mich wohl. Meistens verbringe ich Frühling, Sommer und Herbst hier. Während der Sommerferien genieße ich die Ruhe in der Stadt.

Nach Mysore geht es wieder im November oder Dezember. Dort werde ich in der ersten Schicht ab 6 Uhr morgens selbst praktizieren und in der zweiten Schicht ab circa 8:30 Uhr meinem Lehrer assistieren. Knapp 40 Menschen üben gleichzeitig zusammen, füllen die Shala (Übungsraum) mit guter Energie. Die Hälfte etwa mögen Frauen und Männer aus Indien sein, die andere Hälfte kommt aus verschiedensten Ecken der Welt. 12-Jährige, aber auch 70-Jährige sind manchmal unter den Übenden.

Du liebst Yoga und Indien. Und was noch?

Mit meinem ausgebauten Auto fahre ich spontan in die Natur, um der betonierten Stadt zu entfliehen. So schaffe ich mir meine Balance, komme wieder mit mir in Verbindung.
Ich spiele seit einiger Zeit Harmonium und singe Mantren dazu. In Indien und in Köln hat sich eine feste Kirtan-Truppe etabliert, in der wir mit verschiedenen Instrumenten experimentieren. In Köln treffen wir uns einmal im Monat – entweder in einem unserer Wohnzimmer oder am Rheinufer.

Ab ins Grüne. Weg vom Beton.

 

Aktuell beschäftigt mich Yoga in sozialen Bereichen immer mehr. Ich habe ein paar konkrete Ideen vor Augen und werde diese hoffentlich bald umsetzen. Denn Yoga – richtig eingesetzt – ist ein so kraftvolles Werkzeug. Medizin ohne Nebenwirkungen, die viel heilen kann.

Darüber hinaus liebe ich weiterhin meine Arbeit als Set Decorator (Szenenbildnerin) für Filmprojekte. Diese Tätigkeit reduziere ich zurzeit, weil Yoga immer mehr Raum in meinem Leben einnimmt.

Harmonium spielen und Mantren singen gehört zum Yoga sowie Annas Leben.

Gibt es etwas, was du noch loswerden möchtest?

Was ich total wichtig finde: Nie aufhören, neue Dinge zu lernen und alles jeden Tag neu zu hinterfragen. Das Leben, unsere Ansichten und die Energien ändern sich stetig. Nichts bleibt für immer. Bleib offen für das, was kommt.

Herzlichen Dank für das spannende Interview, liebe Anna!

Ein Interview von Ivelina Entcheva I freiberufliche Texterin I textheldinivelina.de

Wenn Anna-Maria Otte nicht in Indien ist, unterrichtet sie bei uns sonntags von 17 bis 18.30 Uhr.

Anna freut sich, auch dich kennenzulernen.